Zugang zu Wohnen
Zugang zu Wohnen
Seit März 2020 befinden sich in Deutschland mehrere hundert Menschen in Quarantäne in Geflüchteten-Unterkünften. Laut einer Studie der Universität Bielefeld liegt das Ansteckungsrisiko in Gemeinschaftsunterkünften im Mittel bei 17%. Dort mangelt es an Hygieneartikeln sowie an Information; die Einhaltung von Distanzregeln ist schlicht nicht möglich. Hinzu kommt die psychische und mentale Verfassung der Menschen in den Unterkünften, welche oft traumatisiert und nun ohne Beratung sind (Bozorgmehr et al., 2020).
Insbesondere im Rahmen von durchgeführten Kollektivquarantänen in Erstaufnahmeeinrichtungen wurden teilweise Ansteckungsraten von bis zu 67% erreicht (Medibüros/Medinetze, 2020). 30 der 42 im Rahmen der Studie der Universität Bielefeld untersuchten Erstaufnahmeeinrichtungen und Unterkünfte haben eine solche Kollektivquarantäne durchgeführt, die weder eine Kontaktnachverfolgung noch eine Trennung von infizierten und nicht-infizierten Personen erlaubte. Das bedeutete für 7.295 Bewohner:innen Kontakt- und Ausgangssperren, die teilweise von der Polizei, Security-Firmen, der Bundeswehr oder Hubschraubereinsätzen kontrolliert wurden (Bozorgmehr et al., 2020). So kam es zu erheblichen Schutzlücken und einem erhöhten Infektionsrisiko in diesen Unterkünften, die als diskriminierend zu bewerten sind, da sie in der Form nicht für die Mehrheitsgesellschaft gegolten haben (Medibüros/Medinetze, 2020).
Die zweite Infektionswelle hat Erstaufnahmeeinrichtungen abermals hart getroffen. In Bayern etwa haben sich die Infektionszahlen in den Einrichtungen zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 mehr als verdoppelt, in Hessen und Berlin verdreifacht und in Rheinland-Pfalz sogar vervierfacht (Ghelli, 2021). Insgesamt sind in Deutschland derzeit rund 36.000 Personen in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, wovon sich seit Beginn der Pandemie bereits mehr als 6.000 mit dem Coronavirus infiziert haben (ebd.).
Aufgrund der Pandemie wurden etwa 20.000 Asylverfahren ausgesetzt und Abschiebungen in andere Länder sind größtenteils nicht möglich. Das BAMF hat mehr als 20.000 Personen mitgeteilt, dass die Überstellungsfrist in einen anderen EU-Staat eingefroren ist (Taz Talk #31 meets DeZIM, 2020). Durch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus war zeitweise außerdem die Verfahrensberatung erschwert, die telefonisch und z.T. per Video erfolgen musste. 9.000 Menschen, weniger als die Hälfte der Betroffenen, haben gegen ein „Einfrieren“ ihres Asylverfahrens geklagt (ebd.). Beratungsstrukturen sollten besser angepasst und gefördert werden. Bei dem Ausbau bestehender Angebote sollten vorrangig die flächendeckenden und unabhängigen Asyl- und Verfahrensberatungen unterstützt und miteinander vernetzt werden.
Die Zustände in den Sammelunterkünften werden, besonders durch Katastrophenfälle von Ausbrüchen in den Einrichtungen, öffentlichkeitswirksam gemacht. Dies lässt einerseits auf weitere Veränderung und Fortschritt in der Unterbringung von Geflüchteten hoffen (Taz Talk #31 meets DeZIM, 2020). Die Isolierung von Geflüchteten kann jedoch andererseits auch Stigmata und weitere Diskriminierungen auslösen. In Bezug auf die Unterbringung müssen Schutzstandards auch in Krisensituationen gegeben sein und Gewaltschutzkonzepte ausgebaut werden. Auch hier braucht es schnelle Lösungen für Kinder, für die Gemeinschaftsunterkünfte nicht sicher sind (DIMR, 2020b). Insgesamt bedarf es einer Verbesserung des Beschwerdemanagements und auch des unabhängigen Monitorings (Bekyol & Bendel, 2016).
Mancherorts wurden auch positive Maßnahmen zum Schutz der Bewohner:innen von Sammelunterkünften ergriffen, die vorher unmöglich schienen. Beispielsweise sind in einigen Unterkünften die Zimmer nicht mehr voll belegt. Es wurden mehr Kantinen und Gemeinschaftsräume eingerichtet oder Bewohner:innenräte gegründet, um eine reibungslosere Kommunikation zu erlauben (Taz Talk #31 meets DeZIM, 2020). Außerdem führten Gerichtsverfahren in Sachsen, Dresden, Chemnitz und Münster dazu, dass Einzelpersonen aus der Unterkunft ausziehen durften (Pro Asyl, 2020). Insgesamt hat sich im Laufe der Pandemie gezeigt, dass in immer mehr Einrichtungen Quarantäne-Räume für Infizierte eingerichtet wurden und verstärkt auf dezentrale Unterbringungen gesetzt wurde (Ghelli, 2021). So kündigte etwa die Stadt Köln im Februar 2021 nach einem erneuten massiven Ausbruch in der größten Notunterkunft der Stadt an, alle Sammelunterkünfte aufzulösen und die Bewohner:innen in abgeschlossenen Wohneinheiten unterzubringen. Diesen Schritt ging die Stadt Potsdam schon im Juni 2020 (Perspektive Online, 2021).
Auch die prekären Hygienebedingungen in Sammelunterbringungen von Arbeitsmigrant:innen sind durch die Covid-19 Pandemie in den Fokus geraten. Die Situation in den Unterbringungen sowie der mangelnde Schutz am Arbeitsplatz setzte viele Arbeitnehmer:innen einem erhöhten Risiko aus, welche „vermeidbar und behandelbar wären.“ (Krennerich, 2020). Gleichzeitig hat die Pandemie viele Menschen in eine noch größere Armut getrieben, über die Debatten zur staatlichen Rolle für soziale Schutzprogramme entfacht sind (ebd.). Hierzu zählen unter anderem Maßnahmen zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, von der zu einem großen Anteil Geflüchtete mit Schutzstatus in Deutschland betroffen sind (Engelmann et al., 2020: 14)[1]: „Beispielsweise wurden in den Kommunen zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen, um die Belegungsdichte in den Notunterkünften zu reduzieren oder um die Quarantäne infizierter wohnungsloser Personen zu ermöglichen.“ (DIMR, 2020a: 125) Allerdings, so die Kritik von Fachverbänden der Wohnungslosenhilfe, reichen die Maßnahmen nicht aus, um wohnungs- und obdachlose Menschen angemessen vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen. Es fehle an Beratungsangeboten und dem Zugang zu medizinischer Versorgung. Grundsätzlich sollten von der Bundesebene gesteuerte Anti-Diskriminierungsmaßnahmen zusätzlich dazu beitragen, Migrant:innen und Geflüchtete beim Zugang zu einem weiter zu fördernden Wohnungsmarkt besser zu unterstützen.
[1] Diese Angabe beruht auf Schätzungen und den Daten einiger Bundesländer, die eine Erhebung von Wohnungslosigkeit durchführen. Nordrhein-Westfalen erfasste beispielsweise 2018, dass ca. 37% der Wohnungslosen eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit hatten. (ebd.:14f). Eine bundesweite Wohnungslosen-Statistik soll erst ab Januar 2022 erhoben werden und berücksichtigt Menschen, die in Gemeinschafts- oder Notunterkünften untergebracht sind (vgl. Bundesministerum für Arbeit und Soziales, 2019).
Bekyol, Y., & Bendel, P. (2016). Reception of Female Refugees and Asylum Seekers in the EU – Case Study Belgium and Germany. Abgerufen 06.03.2021, von https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=IPOL_STU(2016)571364
Bozorgmehr, K., Hintermeier, M., & Razum, O. (2020). SARS‐CoV- 2 in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete: Epidemiologische und normativ‐rechtliche Aspekte. Kompetenznetz Public Health COVID‐19, Version 1.0. Abgerufen 20.10.2020, von https://pub.uni-bielefeld.de/download/2943665/2943668/FactSheet_PHNetwork-Covid19_Aufnahmeeinrichtungen_v1_inkl_ANNEX.pdf#page=2
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. (2019). Einführung einer
Statistik zur Wohnungslosigkeit. Abgerufen 23.03.2021, von https:// www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/2019/bundesregierung- beschliesst-einfuehrung-einer-statistik-zu-wohnungslosigkeit. html
DIMR. (2020a). Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland. Juli 2019 – Juni 2020. Bericht an den Deutschen Bundestag gemäß § 2 Absatz 5 DIMRG. Abgerufen 12.02.2021, von https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/entwicklung-der-menschenrechtssituation-in-deutschland-juli-2019-juni-2020
DIMR. (2020b). Sammelunterkünfte für geflüchtete Menschen: Gewaltschutz für Kinder kommt zu kurz. Abgerufen 21.12.2020, von https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/aktuelles/detail/gewaltschutz-von-kindern-in-sammelunterkuenften
Engelmann, C., Mahler, C., & Follmar-Otto, P. (2020). Von der Notlösung zum Dauerzustand. Recht und Praxis der kommunalen Unterbringung wohnungsloser Menschen in Deutschland. Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin. Abgerufen 06.03.2021, von https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/von-der-notloesung-zum-dauerzustand
Ghelli, F. (2021). Covid-19: Flüchtlingsunterkünfte stark betroffen. Mediendienst Integration. Abgerufen 01.02.2021, von https://mediendienst-integration.de/artikel/bundeslaender-muessen-fluechtlingsunterkuente-entzerren.html
Krennerich, M. (2020). Gesundheit als Menschenrecht. Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ) 46-47/2020. Abgerufen 07.03.2021 von https://www.bpb.de/apuz/weltgesundheit-2020/318302/gesundheit-als-menschenrecht
Medibüros/Medinetze. (2020). Politische Entwicklung: Kollektivquarantäne – Gesundheitsgefährdung durch sinnwidrige Maßnahmen der Behörden. (2020). Abgerufen 20.10.2020, von http://gesundheit-gefluechtete.info/kollektivquarantaene-gesundheitsgefaehrdung-durch-sinnwidrige-massnahmen-der-behoerden/
Perspektive Online. (2021). Nach erneutem Corona-Ausbruch: Köln beschließt Auflösung aller Geflüchtetenlager. Abgerufen 12.02.2021 von https://perspektive-online.net/2021/02/koeln-beschliesst-aufloesung-aller-gefluechtetenlager-nach-erneutem-corona-ausbruch/
Pro Asyl. (2020). Nach Sachsen jetzt das VG Münster: Infektionsschutz gilt auch für Geflüchtete! Abgerufen 20.10.2020 von https://www.proasyl.de/news/nach-sachsen-jetzt-das-vg-muenster-infektionsschutz-gilt-auch-fuer-gefluechtete/
Taz Talk #31 meets DeZIM. (2020). Geflüchtete in der (Corona-) Krise. Abgerufen 20.10.2020 von https://www.youtube.com/watch?v=k1OvPcjBb78&t=3s