Zugang zu Bildung
Zugang zu Bildung
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) investierte 40 Millionen Euro, um Lehrkräfte und Kursträger für digitale Angebote der Integrationskurse anzuwerben. 7.000 Online-Tutorien und Klassenzimmer konnten im Rahmen des ersten Lockdowns genehmigt werden, in denen fast 83.000 Einwander:innen lernen (epd/mig, 2020). 220.000 Personen brachen dennoch ihren Integrationskurs ab. Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat ein erheblicher Teil der Schüler:innen keinen Zugang zu den notwendigen Endgeräten und verfügen über nicht genügend Internetzugang (2020b) – eine Problematik, die alle Teilbereiche der Bildung betrifft. Der GEW zufolge kann das virtuelle Klassenzimmer keinen Präsenzunterricht ersetzen, der nach ihrer Auffassung auch in Krisensituationen unter Berücksichtigung der RKI- Empfehlungen für Schulen ermöglicht werden sollte (ebd.).
Schulschließungen und die Verlagerung auf Online-Unterricht haben bestehende Ungleichheiten im Bildungssystem, die bereits vor der Pandemie bestanden, deutlich gemacht und verstärkt (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, 2020a). UNICEF geht davon aus, dass während der Corona-Pandemie weltweit etwa 1,6 Milliarden Kinder die Schulbildung unterbrochen oder abgebrochen haben, darunter mehrere Millionen Geflüchtete (UNHCR, 2020). UNESCO erwartet zudem, dass etwa 11 Millionen Mädchen aufgrund der Auswirkungen der Pandemie nicht mehr in die Schulbildung zurückkehren werden (2020). Das führt nicht nur zu einer größeren Gender-Gap in der Bildung, sondern verdeutlicht auch ein höheres Risiko für (sexuelle) Ausbeutung, frühe Schwangerschaft sowie Zwangsheirat. Insbesondere geflüchtete Mädchen sind dabei gefährdet (Giannini & Albrectsen, 2020).
Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche, darunter viele geflüchtete Kinder und Kinder von Einwander:innen, können auch in Deutschland nicht in vollem Maße an den Online-Angeboten teilnehmen (Kollender, 2020). Insbesondere diejenigen Kinder, die in Unterkünften für Geflüchtete und Asylbewerber:innen leben, haben oft keinen Zugang zum Internet und / oder zu technischen Geräten wie Laptops oder Tablets und können dem Online-Unterricht daher nur sehr eingeschränkt oder gar nicht folgen. Ein im Dezember 2020 veröffentlichter Artikel des ifo Instituts beleuchtet verschiedene Studien und zeigt auf, dass nur etwa ein Drittel der Kinder in Sammelunterkünften über einen eigenen Schreibtisch verfügt und nur 56% Zugang zu Internet und 40% Zugang zu einem PC haben. Nur 14% dieser Kinder nutzen den Laptop laut der Studie für sich allein (Rude, 2020). Hinzu kommt, dass durch Isolation und Quarantänen in diesen Unterkünften haupt- und ehrenamtliche Helfer:innen nur einen erschwerten oder keinen Zugang haben und daher die Schüler:innen ohne oder mit nur geringer Unterstützung auskommen müssen (Lauble, 2020). Viele Eltern können ihren Kindern aufgrund fehlender oder geringer Sprachkenntnisse nicht helfen und haben Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit den Lehrer:innen (Kollender & Nimer, 2020). Dies erkannte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Statement zum neuen Integrationsbericht der Fachkommission Integrationsfähigkeit an: Kinder, deren Eltern kein oder schlecht Deutsch sprechen, seien von den Schulschließungen in der Corona-Pandemie besonders betroffen (Die Bundesregierung, 2021). Insgesamt stehen geflüchtete Kinder einem sehr hohen Risiko gegenüber, im Laufe der Pandemie schwerwiegende Einbußen im Bildungserfolg zu erfahren (Rude, 2020). Mit dem Digitalpakt, dem Sofortprogramm für Schüler:innenlaptops, dem Corona-Aufbaufonds der EU, der Finanzierung technischer Administrator:innen und von Schul-Clouds sind erhebliche Summen in den Ausbau der Digitalisierung geflossen. Diese müssen jedoch auch entsprechend abgerufen, gepflegt und das Personal entsprechend durch Mentoring- und Tutor:innenprogramme begleitet werden (Ebbinghaus, 2020).
Besondere Nachteile entstanden im Zuge der Corona-Pandemie zudem für (geflüchtete) Kinder mit besonderen Bedürfnissen. So können etwa sehbehinderte oder hörgeschädigte Schüler:innen dem Online-Unterricht nicht folgen, der i.d.R. weder Voice-Overs für Graphen und Statistiken, noch Untertitel oder Zeichensprache bieten kann (ebd.). Aufgrund der Lockdowns oder der Kollektivquarantänen in Geflüchteten-Unterkünften ist der Zugang zu psychischer Hilfe derzeit erschwert. Legale Unterstützung fehlt nicht nur für diejenigen, die eine Abschiebung fürchten, sondern auch jenen, deren Familienzusammenführungen nicht stattfinden konnte (ebd.). Auch unbegleitete geflüchtete Minderjährige stehen unter enormen psychischen Stress, welcher die Konzentration auf Bildung zusätzlich erschwert.
Die Covid-19 Pandemie beeinträchtigt außerdem die Ausbildungschancen von Geflüchteten, Migrant:innen und Kindern von Einwander:innen. Laut einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), „Betriebe in der Covid-19-Krise“ von Dezember 2020, werden insbesondere kleinere Betriebe sowie Betriebe, die von der Krise besonders betroffen sind, weniger Ausbildungsplätze anbieten (Bellmann et al., 2021a)
Dies liegt vor allem an unsicheren Geschäftserwartungen. Erschwerte Bedingungen für Vorstellungsgespräche und Praktika bzw. Probearbeitstage sowie fehlende Beratungsstrukturen und Ausbildungsmessen führen zu einem Rückgang der Lehrstellenangebote. Insbesondere Geflüchteten wird der Einstieg in eine Berufsausbildung, der im Regelfall durch ein Praktikum begonnen wird, erschwert. Beratungsangebote sowie professionelle Unterstützungsstrukturen stellen vor allem für Jugendliche eine wichtige Maßnahme zur Berufsorientierung dar (Schwarz et al., 2020; Schreyer & Bauer, 2021). Während der Covid-19-Pandemie können viele Maßnahmen der Berufsorientierung aber nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden (Schwarz et al., 2020). Hier braucht es insbesondere digitale Angebote für die Ausbildungs- und Anerkennungsberatung sowie die Erstqualifikation und für Qualifizierungsmaßnahmen. Förderprogramme wie beispielsweise das Programm „Ausbildungsplätze sichern“ der Bundesregierung können helfen, dieser Tendenz entgegenzuwirken und weiterhin die Ausbildung von Fachkräften sichern. Dazu muss dieses Programm jedoch verlängert werden und die Informationskampagne gestärkt werden (Bellmann et al., 2021b). Zudem können Unternehmen und Handelskammern dazu beitragen, über diese und weitere Chancen zu informieren und Geflüchtete und Migrant:innen zu unterstützen, gerade bei Klein- und Mittelunternehmen, die nicht über eigene Kapazitäten zur Anwerbung verfügen oder vor den unvorhersehbaren wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie zurückschrecken.
Bellmann, L. Fitzenberger, B., Gleiser, P., Kagerl, C., Kleifgen, E., Koch, T., König, C., Leber, U., Pohlan, L., Roth, D., Schierholz, M., Stegmaier, J., & Aminian, A. (2021a). Jeder zehnte ausbildungsberechtigte Betrieb könnte im kommenden Ausbildungsjahr krisenbedingt weniger Lehrstellen besetzen. Abgerufen 06.03.2021, von https://www.iab-forum.de/jeder-zehnte-ausbildungsberechtigte-betrieb-koennte-im-kommenden-ausbildungsjahr-krisenbedingt-weniger-lehrstellen-besetzen/
Bellmann, L., Fitzenberger, B., Gleiser, P., Kagerl, C., Kleifgen, E., Koch, T., König, C., Leber, U., Pohlan, L., Roth, D., Schierholz, M., Stegmaier, J., & Aminian, A. (2021b). Die Mehrheit der förderberechtigten Betriebe wird das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ nutzen. Abgerufen 06.03.2021, von https://www.iab-forum.de/die-mehrheit-der-foerderberechtigten-betriebe-wird-das-bundesprogramm-ausbildungsplaetze-sichern-nutzen/
Die Bundesregierung. (2021).Integrationsbericht. Das Miteinander gestalten. Abgerufen 15.02.2021, von https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/integrationsbericht-1840818
Ebbinghaus, U. (2020). „Digitalisierung ist kein pädagogisches Konzept“, FAZ vom 15.10.2020. Abgerufen 13.03.2021, von https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/klassenzimmer/unterricht-der-zukunft-digitalisierung-an-schulen-laeuft-falsch-17001163-p4.html
epd/mig. (2020). Corona: 220.000 Einwanderer unterbrechen Integrationskurse. Migazin. Abgerufen 20.10.2020, von https://www.migazin.de/2020/05/20/220-000-einwanderer-unterbrechen-wegen-corona-integrationskurse/
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Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. (2020b). Unterrichtsmodelle des BAMF für die Integrations- und Berufssprachkurse unter den Bedingungen der Covid-19 Pandemie – Eine kritische Bestandsaufnahme der GEW. Abgerufen 06.03.2021, von https://www.gew.de/fileadmin/media/publikationen/hv/Weiterbildung/Integrationskurse/Infoblatt-Integrationskurse-Corona.pdf
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