Zugang zum Arbeitsmarkt
Zugang zu Arbeit
Die Auswirkungen der Pandemie auf den Zugang von Migrant:innen speziell zum Arbeitsmarkt in den OECD-Ländern sind schwer zu bemessen, vor allem für europäische Staaten, in denen vielfach „Puffer“ in Form von Kurzarbeit oder Boni zur Abmilderung der Krise eingesetzt wurden. Dennoch zeigt sich bereits jetzt eine überproportional negative Bilanz der Corona-Pandemie für Migrant:innen bereits beim Zugang zum Territorium, aber auch bei dem Verlust eines bisherigen Arbeitsplatzes (OECD, 2020), auch in Deutschland (Brücker et al., 2020).
Zwischen März und Juli 2020 stieg die Arbeitslosenquote unter Drittstaatler:innen in Deutschland um 5,2%, davon um 13,4% bei Personen aus den typischen Asylherkunftsländern und etwa um 2,6% bei EU-Ausländer:innen (Brücker et al. 2020). Im Januar 2021 stieg die absolute Zahl der Arbeitslosen mit ausländischer Staatsbürgerschaft abermals um 6,7% gegenüber dem Vormonat, darunter um 9,1% unter Personen aus EU-27-Staaten sowie Großbritannien, und um 5,8% unter Personen aus Kriegs- und Krisenländern (Brücker et al., 2021). Nach der temporären Aussetzung des Lockdowns im Sommer 2020 war die Beschäftigung von Migrant:innen schnell wieder angestiegen. Sie konnten etwa von der zeitweisen Wiedereröffnung der Gastronomie profitieren (Bertelsmann Stiftung, 2020). Noch gibt es keine Daten dazu, ob und inwieweit diese Beschäftigungsverhältnisse zur Erwerbssicherung beitragen oder von welcher Dauer sie angesichts eines erneuten Lockdowns sein konnten.
Mangelnde Sprachkenntnisse, unterschiedliche Bildungsniveaus oder erschwerte Bildungs- und Berufsanerkennung stellten bereits vor der Pandemie Hürden für Drittstaatsangehörige, darunter viele Geflüchtete, dar. Dennoch hatten Anfang des Jahres 2020 40% der Staatsbürger:innen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea, Iran, Pakistan, Nigeria und Somalia – überwiegend Asylbewerber:innen – in Deutschland eine Arbeit gefunden – erheblich mehr, als erwartet worden war (Giesing & Hofbauer, 2020). Allerdings arbeiteten sie eher in den von der Pandemie am stärksten betroffenen Sektoren, wie im Hotel- oder Gaststättengewerbe (Vallizadeh in Janke & Bauer, 2020). Zudem wirkten sie häufiger in Leiharbeit, Zeitarbeit oder arbeiteten in Minijobs oder kleineren Betrieben bei gleichzeitig jüngster Betriebszugehörigkeit (Bathke, 2020). Vor allem für viele Arbeitsmigrant:innen im Niedriglohnbereich ist außerdem Heimarbeit als Schutz vor Infektion keine Option. Besonders vulnerabel sind Beschäftigte im informellen Sektor, unter ihnen viele Migrant:innen mit irregulärem Aufenthaltsstatus (ILO, 2020b). Sie haben keinen Zugang zu sozialem Schutz, bezahltem Krankenstand oder staatlichen Hilfspaketen (Braunsdorf & Rother, 2020). Einige europäische Staaten, wie Portugal oder Italien, starteten im Zuge der Pandemie daher Regularisierungsprogramme für undokumentierte Migrant:innen, um ihnen Arbeitsschutz, Sozialleistungen und den Zugang zum Gesundheitssystem zu gewährleisten (ebd.) und auch, um Arbeitskräftemangel in systemrelevanten Berufen zu verringern. Auch in Deutschland wurden in einigen Bundesländern Maßnahmen ergriffen, die es ausländischen Ärzt:innen vereinfacht ermöglichten, ihren Beruf im Rahmen der Pandemie auszuüben (ODI, 2020).
Die Krise hat überdeutlich gezeigt: Migrant:innen und Geflüchtete sind vielfach in sog. „systemrelevanten“ Berufen tätig: In der Landwirtschaft, dem Lebensmittelsektor, in Energieversorgung, Vertrieb und Einzelhandel, im öffentlichen Nahverkehr sowie gerade auch im Gesundheits- und Sozialwesen stellen Migrant:innen rund 13% der Arbeitnehmer:innen in der EU (Fasani & Mazza, 2020). In Deutschland haben über 30% der in der Landwirtschaft und im Reinigungsgewerbe arbeitenden Personen eine ausländische Staatsbürgerschaft; im Verkehrswesen und im öffentlichen Personenverkehr sind es rund 20% (Giesing & Hofbauer, 2020).
In einigen EU-Mitgliedstaaten wurden diverse Maßnahmen zum Erhalt oder Ausbau von Arbeitsmöglichkeiten ergriffen, die dazu beitragen sollten, die fragilen Gesundheitssysteme zu stärken: Verlängerungen der Arbeitsgenehmigungen, die internationale Rekrutierung von Arbeitskräften, das Erteilen temporärer Approbationen und Lizenzen, eine erleichterte Anerkennung ausländischer Qualifikationen (Gencianos, 2020). Migrant:innen stellen in der Europäischen Union 11% der Arbeitskräfte im Gesundheitswesen; global sind mehr als 80% dieser Arbeitskräfte Frauen*. Sie sind seit Beginn der Pandemie an vorderster Front und damit einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt, während gleichzeitig niedrige Gehälter und schlechte Arbeitsbedingungen vorherrschen (ebd.). Nicht nur in diesem Sektor gilt: „Je prekärer die Arbeit und je schlechter die Arbeitsbedingungen, desto höher die Infektionsrate.“ (Braunsdorf & Rother 2020)
Bereits vor der Pandemie bestand weltweit ein Gefälle von Lohn und Arbeitsverhältnissen zwischen Menschen ohne Migrationserfahrung und Nachkommen von Eingewanderten, Migrant:innen und Geflüchteten. Besonders geflüchtete und migrierte Frauen* waren und sind Zielscheibe von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Die Lohnunterschiede zwischen männlichen Staatsbürgern und weiblichen Migrantinnen* liegen im Durchschnitt bei fast 21% pro Stunde. Grund dafür ist vor allem, so zeigt eine Studie der ILO (2020a) – die 49 Staaten, unter anderem alle Mitgliedstaaten der EU, Kanada und Australien untersucht – die überdurchschnittliche Beschäftigung von Frauen* in häuslicher Pflegearbeit. In Deutschland sind bis zu 500.000 Frauen* als Pflegekraft in privaten Haushalten beschäftigt, die meisten davon aus Polen, aber zunehmend auch aus Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine. Schätzungsweise 90% von ihnen arbeiten ohne gültigen Arbeitsvertrag. Die Pandemie hat ihre Lage verschärft, da die Rückkehr ins Herkunftsland erschwert und im Falle von Krankheit oft kein Zugang zum deutschen Gesundheitssystem gegeben ist (Safuta & Noack, 2020).
Nicht nur in der häuslichen Pflege, aber auch weitere Sektoren mit einem hohen Anteil an Migrant:innen und Geflüchteten als Arbeitnehmer:innen, wie beispielsweise in dem Lebensmittelsektor, der Gastronomie und in der Fleischindustrie braucht es gesetzliche Förderungsmaßnahmen sowie gesetzliche Regelungen auf Bundesebene, die gerechtere und sicherere Arbeitsbedingungen befördern. Außerdem sollten insbesondere Anwerbeagenturen für Personal einer strikten Zertifizierung unterliegen. Ebenso sind Qualifizierungsanerkennungen sowie Nachqualifikationsmaßnahmen zu vereinfachen und flankierende Integrationsmaßnahmen zu überdenken.
Schließlich hat die Pandemie verdeutlicht, dass ein alleiniger Fokus auf temporäre Arbeitsmigration sich aufgrund des Wandels in der Arbeitswelt nicht rentieren wird (MPI, 2020). Die Förderung Teilhabe von Menschen sollte daher im Mittelpunkt arbeitsmigrationspolitischer Maßnahmen stehen (ebd.).
Bathke, B. (2020). In Germany, the coronavirus disproportionately affects migrants. InfoMigrants. Abgerufen 20.10..2020, von https://www.infomigrants.net/en/post/26440/in-germany-the-coronavirus-disproportionately-affects-migrants
Bertelsmann Stiftung. (2020). Neun Monate Pandemie: Auswirkungen von COVID-19 auf Erwerbsmigration und die Arbeitsmarktlage von Migrant:innen in Deutschland. Abgerufen 19.02.2021, von https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/migration-fair-gestalten/projektnachrichten/dritte-migration-zoom-time
Braunsdorf, F., & Rother, S. (2020). Wurst case Szenario. Die Pandemie hat gravierende Auswirkungen auf Migranten und Geflüchtete. Gleichzeitig wird ihre Systemrelevanz deutlich. IPG. Abgerufen 05.01.2021, von https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/wurst-case-szenario-4457/
Brücker, H., Hauptmann, A., Keita, S., & Vallizadeh, E. (2020). Zuwanderungsmonitor Juli 2020. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Abgerufen 20.10.2020, von http://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/Zuwanderungsmonitor_2007.pdf
Brücker, H., Hauptmann, A., Keita, S., & Vallizadeh, E. (2021). Zuwanderungsmonitor Januar 2021. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Abgerufen 18.02.2021, von http://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/Zuwanderungsmonitor_2101.pdf
Fasani, F., & Mazza, J. (2020). Immigrant Key Workers: Their Contribution to Europe’s Covid-19 Response. Abgerufen 28.02.2021, von https://knowledge4policy.ec.europa.eu/publication/immigrant-key-workers-their-contribution-europes-covid-19-response_en
Gencianos, G. (2020). Migrantische Arbeitskräfte an vorderster Front im Gesundheitswesen. FES, Themenportal Flucht, Migration, Integration. Abgerufen 06.01.2021, von https://www.fes.de/themenportal-flucht-migration-integration/artikelseite-flucht-migration-integration/migrantische-arbeitskraefte-an-vorderster-front-im-gesundheitswesen
Giesing, Y., & Hofbauer, M. (2020). Wie wirkt sich Covid-19 auf Migration und Integration aus? ifo Schnelldienst, 07/2020, 41-46. Abgerufen 20.10.2020, von https://www.ifo.de/publikationen/2020/aufsatz-zeitschrift/wie-wirkt-sich-covid-19-auf-migration-und-integration-aus
ILO. (2020a). Labour migration: Migrant pay gap widens in many high-income countries. Abgerufen 05.01.2021, von https://www.ilo.org/global/about-the-ilo/newsroom/news/WCMS_763763/lang–en/index.htm#:~:text=Migrants%20earn%20nearly%2013%20per,much%20as%2042%20per%20cent.&text=In%20some%20countries%20such%20as,and%2025%20per%20cent%20respectively
ILO. (2020b). Social protection for migrant workers: A necessary response to the Covid-19 crisis. ILO Brief: Social Protection Spotlight. Abgerufen 15.10.2020, von https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_protect/—soc_sec/documents/publication/wcms_748979.pdf
Janke, C., & Bauer, J. (2020). Corona-Pandemie: Geflüchtete fürchten um ihre Jobs. Mediendienst Integration. Abgerufen 20.10.2020, von https://mediendienst-integration.de/artikel/gefluechtete-fuerchten-um-ihre-jobs.html
Mediendienst Integration. (2020). Corona-Pandemie und Migration. Abgerufen 20.10.2020, von https://mediendienst-integration.de/migration/corona-pandemie.html
MPI. (2020b). Welfare States and Migration: How Will the Pandemic Reshape a Complex Relationship? Webinar. Abgerufen 01.02.2021, von https://www.migrationpolicy.org/events/welfare-migration-how-will-pandemic-reshape-relationship
ODI. (2020). Key workers: Migrants’ contribution to the COVID-19 response. Abgerufen 20.10.2020, von https://www.odi.org/migrant-key-workers-covid-19/
OECD. (2020). International Migration Outlook 2020. Abgerufen 20.10.2020, von https://www.oecd-ilibrary.org/content/publication/ec98f531-en
Safuta, A. & Noack, K. (2020). A magnifying glass for precarity and unfulfilled care needs. Abgerufen 14.12.2020, von https://www.fes.de/e/a-magnifying-glass-for-precarity-and-unfulfilled-care-needs